Immer mehr Kolleginnen und Kollegen bekennen sich dazu, nicht mehr ausbilden zu wollen. Welches Zeichen setzen wir damit als Branche? Jutta Gsell sucht Lösungen und fordert: Geben wir der Innung eine neue Aufgabe, die Zeit ist reif!
Im Gespräch mit Birgit Senger von imSalon.de
„Ich zähle zu den wenigen, die noch bereit sind, in die Ausbildung zu investieren.“
Viele beklagen den Fachkräftemangel, du nicht?
Jutta Gsell: Ich habe in diesem Jahr mehr als genug Bewerbungen auf meine Ausbildungsplätze bekommen. Das liegt weniger daran, dass ich so toll bin und alle in meinem Unternehmen ausgebildet werden wollen, sondern hat wohl eher damit zu tun, dass ich zu den wenigen zähle, die noch bereit sind, mehrere tausend Euro in Ausbildung zu investieren. Mit der Bocklosigkeit der Auszubildenden, mit anfallenden Krankheitstagen und anderen Herausforderungen will sich kaum noch jemand beschäftigen. Aber wie sollen wir Fachkräfte bekommen, wenn wir nicht weiter ausbilden?
Du beobachtest, dass immer mehr Unternehmen nicht mehr ausbilden wollen?
JG: Mich ärgert, was auf Facebook von mittlerweile immer mehr namhaften Kolleginnen und Kollegen gepostet wird. Einer nach dem anderen bekennt sich, nicht mehr auszubilden.
Die Situation ist, wie sie ist: Dem Nachwuchs fehlt Durchhaltevermögen und Motivation, dann noch die Work-Life-Balance … das alles kenne ich auch. Was aber leben wir ihnen vor? Wir lassen uns für‘s Upgraden feiern und reden davon, uns nur noch auf das Wesentliche konzentrieren zu wollen? So leben wir niemandem vor, Verantwortung zu übernehmen. Das macht mich wütend, wir jammern über Fachkräftemangel, aber keiner ist mehr bereit, auszubilden. Ich möchte kein Gejammere, ich möchte Lösungen.
Die Kosten und die Verantwortung, Nachwuchs zu garantieren, sollte von allen Friseurunternehmen gemeinsam getragen werden.“
Was wäre deine Lösung?
JG: Alle Friseurbetriebe zahlen einen Beitrag zur Nachwuchsförderung oder Mitarbeitergarantie – wie auch immer wir dies nennen. Die Kosten und die Verantwortung, Nachwuchs zu garantieren, sollte von allen Friseurunternehmerinnen und -Unternehmern gemeinsam getragen werden, egal ob sie Mitarbeiter haben oder soloselbständig sind.
Wie würdest du diesen Beitrag staffeln?
JG: Nach Größe und Umsatz des Unternehmens. Dieses Geld würde zukünftig die Ausbildung finanzieren.
Eine Idee: „Ausbildungsbetriebe, werden von den Innungen für die Ausbildung bezahlt.“
Die Ausbildung einer Fachkraft bei mir im Salon kostet zwischen 36.000 € und 40.000 €. Nachdem meine Mitarbeitenden gut ausgebildet sind und Umsatz erbringen, muss ich allerdings befürchten, dass sich ein Unternehmen aus meinem Umfeld denkt: `Die Jutta bildet gut aus, ich spare mir den Stress und das Geld und biete ihrer Mitarbeiterin 500 € oder 700 € mehr im Monat.` Wer das Geld für Ausbildung spart, kann natürlich leichter attraktivere Einstiegsangebote machen und ich als Ausbilderin verliere meine Investition an ein fremdes Unternehmen. Ich denke, viele in der Branche kennen das. Gäbe es in Zukunft nur noch qualifizierte Ausbildungsbetriebe, die von den Innungen für die Ausbildung bezahlt werden, ließe sich das umgehen.
Du möchtest die Innungen für die Durchführung und die Organisation der Ausbildung verantwortlich machen?
JG: Wir brauchen bessere Qualität und wir brauchen mehr Nachwuchs! Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass wir in den letzten Jahren zugeschaut haben, wie Ausbildungsbetriebe und Innungen nicht besser, sondern schlechter geworden sind. Damit könnten wir die Bedeutung und Aufgabe der Innung neu aufsetzen. Viele schimpfen über die Innung, daran müssen wir etwas ändern!
„Wer im Handwerk ausgebildet wird, soll seine Ausbildung nur noch bei den Besten der Branche bekommen.“
Worin siehst du die Rolle der Innungen?
JG: Die Aufgabe der Innung sollte in Zukunft darin bestehen, Auszubildende zu bezahlen und für deren Ausbildung nur die besten Ausbildungsbetriebe zuzulassen. Das würde sich herumsprechen und wäre ein Anreiz für junge Menschen, sich für eine Ausbildung in der Beautybranche zu bewerben. Zusätzlich hätte es den Effekt, den Kontakt zwischen Betrieb, Innung und Berufsschule zu stärken. Wer im Handwerk ausgebildet wird, soll seine Ausbildung nur noch bei den besten der Branche bekommen. DAS würde unserem Image guttun.
Warum bist du so sicher, dass der Friseurberuf in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird?
JG: Weil wir nicht durch künstliche Intelligenz ersetzbar gemacht werden können. Unsere Dienstleistung kann nicht online geshoppt werden. Wir brauchen zukünftig keinen Steuerberater mehr treffen, sondern werden per Knopfdruck unsere Steuererklärung erstellen. Es werden weniger Anwälte gebraucht, weil die KI schnell beantworten wird, wie mein Fall rechtlich einzustufen ist. Für viele wird es die regelmäßigen Besuche bei einem vertrauten Arzt nicht mehr geben, weil Sprechstunden online abgehalten werden.
„Friseurinnen und Friseure werden ein wichtiger Offline-Faktor sein.“
In dieser Online-Welt werden wir Friseurinnen und Friseure ein wichtiger Offline-Faktor sein. Wir schaffen mit unserer Arbeit positive Emotionen und kontinuierliche Erlebnisse direkt am Menschen. Das wird es in Zukunft immer weniger geben.
„Wir dürfen Ausbildung nicht den Klitschen überlassen, sondern nur jenen Salons, die von der Innung zertifiziert sind!“
Wie gelingt es dir, junge Menschen für den Beruf zu interessieren?
JG: Beauty, vor allem Haare, fasziniert sie alle! Als Arbeitgeberin bin ich durch meine Schichtarbeit attraktiv, meine Mitarbeitenden arbeiten nicht jeden Samstag und ich biete eine gute Ausbildung. Daher halte ich es für so wichtig, dass wir die Ausbildung nicht den kleinen ‚Klitschen‘ überlassen, sondern nur noch jenen Salons, die von einer Innung dafür zertifiziert sind. Das könnte auch von anderen Gewerken im Handwerk übernommen werden. Wenn man im Handwerk nur noch von den Besten der Branche ausgebildet wird, sehe ich in der Zukunft für unser Handwerk viel Potenzial.
Liebe Jutta, vielen Dank für das Gespräch. Ich bin gespannt, was unsere Community von deinen Vorschlägen hält. Weiterhin viel Erfolg!