Wie führen wir die nächste Generation? Indem wir lernen, sie zu verstehen. Dr. med. Monika Herma-Boeters ist Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie und antwortet auf Guido Paars Gedanken.
Kommentar von Dr. med. Monika Herma-Boeters
Zu Herrn Guido Paars „Führung – ein Dilemma?“ erlaube ich mir wie folgt zu ergänzen:
Gerade in dem Abschnitt mit dem „Weitergeben“ und der „Unterstützung“ in einer Arbeitsgemeinschaft und dem „Mitmachen“ ist in der heutigen Zeit so vieles verloren gegangen. Die Jugendlichen beteiligen sich nicht mehr an der Gemeinschaftlichkeit und an der Unterstützung gegenseitig, nicht zuletzt, weil sie nicht ausreichend gelernt haben, respektvoll mit Gleichaltrigen wie auch mit Älteren und Jüngeren umzugehen.
Woher kommt das?
Unsere Gesellschaft hat sich insofern verändert, als es keine Großfamilien mehr gibt. Da ist nicht mehr die Großmutter, die unterstützend nachmittags mit dem Kind beschäftigt ist, wo das Kind vielleicht beim Backen hilft oder der Großvater, der dem Jungen zeigt, wie man mit Holz umgeht. Diese unterstützenden Maßnahmen waren gleichzeitig auch Hilfen in dem „Weitergehen“, indem man mit anpackt und unterstützend tätig. Das ist verloren gegangen.
Eltern sind in der Regel Vollzeitbeschäftigt. Wenn der Vater abends schon nach Hause gekommen ist, völlig ermattet in den Sessel fällt und dann die Mutter heimkommt, so wird das Kind, hier am Beispiel Tobias, mit großer Wahrscheinlichkeit auf sie zulaufen und unbedingt ein Eis einfordern. Die Mutter wird erstmal Nein sagen und darum bitten, erstmal in Ruhe gelassen zu werden. Tobias wird nicht aufhören, weiterhin ein Eis haben zu wollen und die Mutter wird ein zweites Mal Nein sagen. Bis dass dem Tobias einfällt, dass der Vater das schon erlaubt habe. Die Mutter ist erstaunt, hätte sie nichts von gewusst, und schlussendlich gibt sie nach. Jetzt weiß Tobias, welchen Knopf er zu drücken hat. Beim nächsten Mal wird er ähnliches mit seinem Vater versuchen und vielleicht einen anderen Wunsch erbitten. Und wieder wird er die Mutter vorschieben, dass diese das erlaubt habe usw. Das Kind hat also gelernt, sich das zu holen, was es haben möchte und wenn die Eltern sofort nachgeben, dann wird das Verhalten auch so bleiben: oppositionell, seine Wünsche anzubringen, diese einzufordern und so werden die Eltern erpresst.
Ähnliches geschieht im Schulunterricht. Auch dort ist ein deutlich respektloser Umgang den Lehrern gegenüber zu vermerken.
Die Jugendlichen haben also rechtzeitig gelernt, wie sie ihre Wünsche in den Vordergrund stellen, alles einfordern und wissen sie auch, dass, wenn nicht nachgegeben wird, man in Sorge sein müsse, dass sie den Dienst wieder quittieren. Folglich reagieren wahrscheinlich auch alle Meister und Ausbilder ähnlich und geben den Wünschen der Jugendlichen oder Adoleszenten nach.
Hier sei ein zweites Beispiel aufgeführt:
Besagter Tobias sitzt z.B. in einem Karton. Wenn ihm etwas nicht passt, dann stößt er mit beiden Armen rechts und links die jeweiligen Kartonwände heraus. Wenn es wieder gegen seinen Willen geht und er unbedingt etwas haben möchte, lehnt er sich heftig zurück und drückt die hintere Wand des Kartons raus. Reicht das immer noch nicht und er hat seinen Dickkopf immer noch nicht durchgekriegt, wird er nach vorne mit den Füßen die Wand raustreten und wenn ihm dann die Hutschnur platzt, wird er aufstehen und mit aller Wucht auf den Boden stampfen, damit ist dann auch der letzte Halt dieses Kartons, nämlich der Boden, verloren gegangen. Und jetzt? Das Kind schwebt im luftleeren Raum. Das ist erstmal nett, da gibt es keine Grenzen, da gibt es keine Führung, da kann jeder machen, was er will. Das funktioniert aber nicht lange. Denn jedes Kind braucht eine Führung, braucht eine Hand, die es hält, um es zu leiten und ihm zu zeigen, wie es den richtigen Weg gehen kann.
Und hier sind die Erwachsenen gefordert, rechtzeitig dies den Kindern im häuslichen Umfeld beizubringen, den roten Faden nicht zu verlieren, immer sich an der Orientierung der Eltern zu halten, denn die haben das Leben bis hierin gut gelebt und wissen, wie es geht.
Genauso ist es im Arbeitsleben. Der Meister weiß, was er geleistet hat, wie er den Laden zu leiten hat und wie es für den gesamten Betrieb am besten ist. Aber es muss auch von den Jugendlichen respektiert werden.
Es liegt also an uns Erwachsenen oder auch Meistern und Lehrenden, den Widerstand insofern aufzubiegen, konsequent zu bleiben, nicht einzuknicken, wenn junge Leute ihren Dickkopf durchsetzen wollen. Immer wieder hinzuweisen, dass nur eine Gemeinschaft gut aufeinander eingestellt das Funktionieren eines Betriebes erhalten kann. Wenn einer ausbricht, kann das für den gesamten Betrieb bzw. das ganze Unternehmen schädlich sein. Diesen Widerstand, diese Konsequenz müssen die Kinder schon im Elternhaus erlernen. Es reicht nicht, wenn man erst im Arbeitsleben damit beginnt.
Somit ein unbedingter Appell an alle Eltern: Konsequent zu bleiben, Leithammel zu bleiben, zu loben, wenn gelobt werden soll, aber auch immer eine schützende Hand im Rücken des Kindes zu haben und deutlich zu machen, dass mit der Hilfe der Erwachsenen und der Unterstützung das Leben eines jungen Menschen im neuen Arbeitsfeld gelingen kann. Dazu gehören aber auch mal Konsequenzen, will man den eingeschlagenen Weg nicht verlieren.
Dr. med. Monika Herma-Boeters ist Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie