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Lars Nicolaisen: Brauchen ein modernes und schnelles Ausbildungssegment neben dem Dualen System

Generationenwandel, Nachwuchsmangel, Ausbildungspolitik. Was müssen Unternehmen tun, um hiermit besser umzugehen? Im Gespräch mit Lars Nicolaisen…

Heißes Thema Arbeitsmarkt. Auf was werden sich Unternehmer einstellen müssen?
LN: 
Eine schwierige Frage, die uns alle beschäftigt. Die Gesellschaft verändert sich und ich habe das Gefühl es gibt immer mehr Egoisten. Nur noch Ich Ich Ich. Die Antwort kann aber nicht sein: „Die Gesellschaft ist so, wie sie ist und ich schwinge da jetzt mit.“ Gleichzeitig kann es aber auch nicht sein „Die Gesellschaft ist so und ich kämpfe jetzt dagegen an.“ Denn dann kämpfst du gegen Windmühlen. Ich glaube man braucht einen Zwischenweg. Daher sind Werte wichtig, die einen im Alltag wie einen Kompass führen.

Was sind Nicolaisen Werte?
LN: 
Wir konzentrieren uns auf unsere Werte hanseatisch, anspruchsvoll, neugierig. Daran glaube ich. Das ist meine persönliche DNA und auch die des Unternehmens. Die spannende Frage ist, ob man diese Werte neu erklären oder anders beschreiben muss, so dass sie auch 2022 über ganz viel Kraft und Klarheit verfügen.

“BAFÖG für eine Ausbildung beantragen? Fehlanzeige! … das ist politisches Ungleichgewicht.”

Wie siehst Du die derzeitige Ausbildungspolitik?
LN:
 Politiker sagen ständig Ausbildungsberufe müssen gestärkt werden, nur wie stärkt man die denn? Wie kann es sein, dass mein studierender Sohn mit der kostenlosen ÖPNV Karte umherfährt, ich aber selbige für meine Auszubildenden selbst bezahlen muss? BAFÖG für eine Ausbildung beantragen? Fehlanzeige! Das empfinde ich als politisches Ungleichgewicht und das ist ärgerlich.

Verstehst Du Unternehmer, die nicht mehr ausbilden?
LN:
 Leider immer mehr, so traurig mich das auch macht. Es ist ja nicht so, dass viele Friseure, die heute nicht mehr ausbilden, keinen Bock mehr auf Ausbildung haben. Viele finden einfach keine Azubis und der Umgang mit dieser Ego-Generation ist gewiss auch komplex. Der jedoch wichtigste Grund, den mir Kolleginnen und Kollegen sagen, ist, dass für viele die Ausbildung schlichtweg zu teuer ist.

Was kostet ausbilden den Unternehmer?
LN:
 Jede Auszubildende kostet mich im Monat durchschnittlich 1.100 €. Aktuell haben wir 10 Auszubildende. Damit beginnt jeder Monat bei mir mit dem Gedanken, ich muss 11.000 € erwirtschaften, nur um auszubilden. Eine Auszubildende kostet mich bis zu 40.000 € über die Gesamt-Ausbildungszeit. Da sind aber noch nicht die Kosten eingerechnet, die fürs Ausbilden entstehen. Als Ausbildungsbetrieb wird man da allein gelassen. Und wie viele bleiben davon? Deutlich weniger als die Hälfte. Weil wir schlecht ausbilden? Weil wir schlechte Chefs sind? Weil unsere Rahmenbedingungen unattraktiv sind? Nein!
Der Hauptgrund ist, dass viele junge Menschen (zum Glück!) einfach nicht stehen bleiben wollen. Sie suchen neue Aufgaben und Inspiration. Da ist es nur selten attraktiv im selben Salon zu bleiben, in dem man ausgebildet wurde. Diese gesellschaftliche Veränderung ist nicht zu unterschätzen.

Dennoch werden Azubi Löhne mit anderen Handwerken verglichen, da liegen wir deutlich niedriger. Wohin kann die Lohndebatte führen?
LN: 
Vielleicht ist der Mindestlohn eine Chance für die Branche. Andere Handwerke können allerdings ihre Ausbildungskosten auf Kunden übertragen, da ist es nicht so transparent. Ich sehe z.B. nicht, ob der Azubi in der Werkstatt am Auto gearbeitet hat. Ist mir auch egal, solange das Ergebnis super ist. Beim Friseur ist man jedoch direkt am zahlenden Kunden, da kann ich nicht einfach den Azubi hinstellen. Natürlich könnten wir jetzt alle deutlich unsere Preise anheben, aber das geht in unserer Branche nicht, weil wir durch die Schwarzarbeit eine so unverhältnismäßige Situation haben. Da sagt doch der Endverbraucher irgendwann, die sind nicht ganz dicht.

„…den Ausbildungsbetrieben so leicht und bezahlbar wie irgend möglich machen, um am dualen System festhalten zu können“

An wen müsste das adressiert werden?
LN: 
Ich würde das jetzt mal unter den großen Namen „Politik“ geben. Ob das später die Innung, die Handwerkskammer oder das jeweilige Bundesland ist, das weiß ich nicht. Die Grundfrage jedoch lautet, wie schaffe ich es, Ausbildung wieder attraktiv zu gestalten? Und die politischen Vertretungen müssen es den Ausbildungsbetrieben so leicht und bezahlbar wie irgend möglich machen, möchte man am Dualen System festhalten. Kommt da nicht wirklich schnell Bewegung in die Debatte, wird dies zu einer Phantom-Diskussion, weil niemand mehr ausbildet.

Welche Maßnahmen könnten hier hilfreich sein?
LN:
 Es gab ja die Idee, dass Salons, die nicht ausbilden, wenigstens einen kleinen Obolus leisten. Angeblich bilden nur ca. 15% der Hamburger Friseurbetriebe aus. Wenn 85% einen kleinen Beitrag leisten, dann wäre das schon fair.

Das würden nicht-ausbildende Salons so nicht empfinden.
LN: 
Es gibt Salonunternehmen, die bilden nicht aus, werben dann aber aktiv frisch ausgelernte Gesellinnen und Gesellen ab, indem sie mit mehr Geld winken. Wie wollen wir als Branche darauf reagieren? Was ist unsere Antwort? Klar ist, wenn ich die ganzen Ausbildungskosten (die ich vorab aufgezählt habe) nicht hätte, dann könnte ich auch höhere Löhne für Gesellen bezahlen. Ich weiß, dass die „Moral-Frage“ ein wenig antiquiert wirkt, aber hier benötigen wir Antworten.

Wieso bildest du noch aus?
LN: 
Einer unserer Werte ist hanseatisch und das verbinde ich mit Nachhaltigkeit. Ich finde, man muss dem Beruf etwas zurückgeben und jungen Menschen verdienen eine Chance. Das ist eine Einstellung, die ich geerbt habe und die tief in mir drinnen steckt. Vielleicht passt sie aber auch nicht mehr ins Jahr 2021? Vor 5 Jahren waren diese Gedanken noch nicht da, heute frage ich mich tatsächlich öfters, ob ich noch weiter ausbilden möchte.

 „Wir müssen die Frage stellen, ist das Duale System noch zeitgemäß!

Hat das duale System noch Berechtigung?
LN: 
Das Duale System finde ich wertvoll. Was wir machen ist doch viel mehr wert als diese knapp 40.000 €. Wir bilden junge Menschen aus. Das ist cool! Dennoch müssen wir die Frage stellen, ob es noch zeitgemäß ist. Die Millennium Generation ist gewohnt, dass alles jetzt und sofort passiert. Die können nicht warten. Jetzt kommt man in einen Handwerksberuf, wo man 3 Jahre lernen muss und die ersten Monate nicht viel machen darf. Das passt doch gar nicht mehr in die Zeit. Daher muss es Alternativen geben.

Private Ausbildung als Alternative?
LN:
 Es muss ja nicht entweder oder sein. Ich bin kein Gegner des Dualen Systems, aber es braucht daneben ein modernes und schnelles Ausbildungssegment. Ich kann mir eine Privatisierung der Ausbildung gut vorstellen, aber das muss auch die Politik wollen. Man muss Ausbildung neu denken und dabei offen für alles sein.

„Der Friseur macht immer noch ‘Damen, Herren, Kinder’.
Das ist völlig antiquiert.“

Welch andere Entwicklungen beobachtest Du noch?
LN: 
Menschen wollen sich spezialisieren. Das ist doch überall so in der Gesellschaft. Man möchte dahingehen, wo man weiß, die sind spezialisiert, ob beim Arzt, im Restaurant oder bei der Einrichtung. Und viele Friseure machen immer noch „Damen, Herren, Kinder“. Das ist völlig antiquiert. Wir benötigen weniger Allrounder, sondern mehr Spezialisten. Und dies muss sich auch in der Aus- und Weiterbildung widerspiegeln. Wenn eine Kundin nur eine super Balayage haben möchte, dann ist es ihr doch völlig egal, ob die Friseurin bzw. der Friseur auch schneiden kann.

Die Lösung?
LN: 
Eine Antwort darauf könnte sein, dass es einen Gesellenbrief nur für Farbe, nur für Schnitt, nur für Wellness, wie auch immer, gibt. Möglich sind Bausteine, die man schneller lernen kann.

Warum kommt das in der Politik nicht an?
LN:
 Ich glaube schon, dass das in einigen Verbänden gewollt ist, so zumindest klingt das, was bei mir ankommt. Aber es ist noch nicht die Masse. Es fehlt der Druck dahinter. Ich bin aber überzeugt, der Markt wird seinen Weg gehen.  

Jetzt hat der Verband vor Kurzem den ►OnAir-Stylisten als Zusatzausbildungsmodul präsentiert. Ein Schritt in die richtige Richtung?
LN:
 Das ist ein Super Beispiel dafür, dass man Stunden in einem Nischenthema verbracht hat, ohne der Branche zu helfen. Ich unterstelle ja nicht, dass kein Interesse an neuen Wegen besteht. Aber ist das der große Schritt für deine Mitglieder? Ich denke nicht.

Was macht ein Unternehmen heute erfolgreich?
LN:
 Unternehmen, die konsequent und beständig immer ihre Werte im Fokus haben und dabei nicht gestrig bleiben.

Hast Du ein konkretes Unternehmen vor Augen?
LN:
 Nein, keine Firma, sondern einen wundervollen Menschen. Peter Dawson  (Anm.Red.: Bedeutende Führungskraft bei Vidal Sassoon, leider 2020 verstorben) hatte uns eine Zeit lang immer wieder richtig tolle Kunden geschickt. Das hatte ich nicht verstanden und nachgefragt, woraufhin er nur meinte, die passen nicht zu Vidal Sassoon. Und dann hat Peter zu mir gesagt: „Lars, wir in Hamburg leben doch in einer 1,8 Millionenstadt. Nur 1% dieser Menschen müssen uns geil finden, alle anderen sind uns egal.“ Das bewegt mich bis heute. 

 Danke lieber Lars für das anregende Gespräch | Interview geführt von imSalon.de | Katja Ottiger

Über Lars Nicolaisen

Lars Nicolaisen ist Hamburger Friseurunternehmer in dritter Generation und erfolgreicher Branchen-Blogger und Podcaster

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