Credit: Timmi Taubenschreck

Stuhlmiete ist gefragt, aber das Meistergesetz braucht ein Update

Für Patricia Piatke wäre ein Fulltimejob als Friseurin “Pain in the ass”! Sie möchte mehr Selbstbestimmung und Work-Life-Balance, mit dieser Einstellung will sie den Friseurberuf ein bisschen geiler machen. Veraltete Salonstrukturen und Hierarchien, das passt so gar nicht zu dem Weg, den „Patze“ für sich und ihre Stuhlmieterinnen eingeschlagen hat.

Credit: Patricia Piatke

Im Gespräch mit Birgit Senger von imSalon.de

Wie siehst du Co-Working-Spaces für die Friseurbranche?
Patricia Piatke
: Co-Working-Spaces für Friseure, das klingt für viele noch sehr ungewöhnlich. Vor 10 Jahren, als ich damit anfing Arbeitsplätze im Salon zu vermieten, gab es das Wort Co-Working-Space noch gar nicht. Auch heute denken viele dabei eher an Menschen, die in irgendeinem Office einen Schreibtisch mieten.Für mich war es ein Befreiungsschlag, mich so in der Branche aufzustellen. 

“Ich bin davon überzeugt, dass der Friseurberuf durch Stuhlmiete attraktiver, zeitgemäßer und zugänglicher wird.”

Warum ist es Dir eine Herzensangelegenheit, über deine Erfahrungen zu sprechen?
PP: 
Ich hoffe, mit meiner Geschichte etwas zu verändern. Ich bin davon überzeugt, dass der Friseurberuf durch Stuhlmiete attraktiver, zeitgemäßer und zugänglicher wird. Ich will den Beruf geiler machen. Es ist mir eine Herzensangelegenheit darüber zu sprechen, da ich mich in der Friseurbranche nie richtig zu Hause gefühlt habe. Ich war bisher in der Branche nie so vernetzt, bin nicht zu irgendwelchen Events oder Shows gegangen. Ich hab jahrelang alleine für mich rumgemacht, weil ich nicht so recht reingepasst habe, jetzt hab ich die Kapazität, das Standing und Bock politischer zu werden. Die Branche hat ein Problem und ganz ehrlich, wen wundert’s? Im internationalen Vergleich läufts super für freelance Hairstylisten, das könnte doch hier auch mal langsam ins Rollen kommen.

Woran lag es, dass du dich in der Friseurbranche nie richtig zu Hause gefühlt hast?
PP:
 Auf Englisch würde ich sagen “these are not my people“, es hat sich nie wie meine Gleichgesinnten angefühlt. Wenn ich irgendwo gefragt wurde, was ich beruflich mache, haben die Leute mit „Ach das sieht man dir aber gar nicht an.“ reagiert. Ich hatte immer meinen eigenen Style und hab mein Ding gemacht. In den letzten 15 Jahren bin ich hauptberuflich als freiberufliche Hair- und Make-up-Artist und Fotografin viel für die Medienbranche auf der ganzen Welt unterwegs gewesen. Als Friseurin freiberuflich zu arbeiten, ist in Deutschland noch unüblich. Mein Konzept des kompletten Stuhlmietersalons “Co-Work Salon” ist meine Vision den Beruf attraktiver zu machen.

“Ich finde es gut, wenn man es sich als Friseur*in erlaubt, weniger zu arbeiten. Aber natürlich muss man in der wenigen Zeit auch gut verdienen.”

Der Friseurberuf als Fulltimejob war für dich noch nie eine Option?
PP: 
Ich finde es gut, wenn man es sich als Friseur*in erlaubt weniger zu arbeiten. Aber natürlich muss man in der wenigen Zeit auch gut verdienen. Es ist, gerade wenn man ihn über viele Jahre macht, ein krass anstrengender Job, der einem so unfassbar viel abverlangt. Man verausgabt sich in dem Beruf auf so vielen Ebenen, ob psychologisch, handwerklich etc.

“Für mich war mein Ursprungsberuf immer der Friseurberuf, den ich liebe und nie aufgeben wollte.”

Dein Konzept gibt Friseur*innen die Möglichkeit frei, selbständig, flexibel zu arbeiten und damit gutes Geld zu verdienen?
PP: 
Ich bin schon recht früh, mit Anfang zwanzig durchgestartet und hab hoch und runter alles gemacht, von Fotoshootings, Events, Werbespots, Fashion Weeks und alles, was man sich so vorstellen kann. Für mich war mein Ursprungsberuf immer der Friseurberuf, den ich liebe und nie aufgeben wollte. Also stellte sich die Frage, wie ich das alles unter einen Hut bekomme. Niemand hätte gern eine Teilzeitangestellte, die kommt und geht, wann sie will, das mit ihren Kunden selbst klärt und manchmal spontan eine Woche in einer Produktion verschwindet und dann gar nicht im Salon ist. Also musste der eigene kleine Salon her, in dem ich flexibel arbeiten konnte und nicht 9-5 vor Ort sein musste. Wenn ich einen Kundentermin hatte, war ich da und wenn ich eine Woche auf der Fashion Week unterwegs war, hab ich mich gefreut, mich wieder in den Salon hinter den Stuhl zu klemmen und meine Kund*innen zu bedienen, die „down to earth“ sind und nicht so abgehoben, wie in der Fashionbranche. Irgendwann fand ich es dann aber auch schade, dass mein schöner kleiner Salon, während ich unterwegs war, so gar nicht genutzt wurde. Vielleicht gibt es ja noch andere Friseur*innen, die mehrgleisig aufgestellt sind und für 2-3 Tage den Salon nutzen wollen wie ich. So entstand die Idee für mein neues Salonkonzept, was Kollegen die Möglichkeit gibt frei und selbständig zu arbeiten.

Credit: Patricia Piatke

Wie viele KollegInnen nutzen mittlerweile „la Isla Salon“ als ihr Working Space? PP: Wir sind zu acht. Alle sind so aufgestellt, dass sie auch noch etwas anderes nebenbei machen und maximal an 4 Tagen den Salon als Arbeitsplatz nutzen.

Ist jeder vom Typ her als Stuhlmieter*in geeignet?
PP: 
Du musst in der Lage sein, dich selbst zu managen, dich zu organisieren, deine Preise zu kalkulieren und deine Buchhaltung zu machen.  Wer dazu nicht der Typ ist, lässt sich besser anstellen. Es gibt da draußen viele Salons, die für gute Bedingungen ihrer Angestellten sorgen und bei denen es auch Spaß macht zu arbeiten. 

Welche Rahmenbedingungen müssen erfüllt sein, um im Salon eine Stuhlmieterin werden zu können?
PP: 
Als Stuhlmieter*in brauchst du dein eigenes Buchungssystem, dein eigenes Kassensystem, eigenes Warenlager und eigene Vermarktung. Bei uns bespielt jeder seinen eigenen Social Media Account und bekommt darüber auch seine Bewertungen. Heute ist das alles viel leichter umsetzbar als vor 10 Jahren. Damals waren Kassensysteme noch wahnsinnig teuer und Terminbuchungen online noch unüblich. Die Technik hierfür ist mittlerweile für jeden gut zugänglich und erschwinglich geworden. Bei uns macht jeder sein eigenes Ding. Wo wir uns alle treffen, ist auf dem gemeinsamen Level der Qualität. In diesem Rahmen haben wir auch unterschiedliche Spezialisierungen. Jeder macht das, was er am besten kann. Wir wissen alle, was wir besonders gut können und was der andere kann. Wir schieben uns auch gerne mal die Kund*innen hin und her. Gute Voraussetzung, keinen Neid untereinander aufkommen zu lassen.

Credit: Patricia Piatke

Habt ihr ein gemeinsames Warenlager?
PP: 
Jeder hat einen eigenen abschließbaren Spind. Jeder arbeitet mit seinem eigenen Farbsystem, für alle gibt es genügend eigene Regale für ihre Produkte. Hinter unseren Waschplätzen stehen ganz viele Shampoos und Pflegeprodukte, mit ganz vielen Stickern drauf, damit jeder seine Produkte wiederfindet. Jeder von uns so viel, dass er dem anderen nichts klauen muss.

Viel Spaß haben die Mädels bei La Isla Salon | Credit: Patricia Piatke

Schreibst du vor, mit welchen Herstellern gearbeitet werden soll? 
PP: 
Mir ist wichtig, dass unsere gemeinsamen Werte auch in der Auswahl der Produkte wiederzufinden sind. Mir ist wichtig, dass alle Produkte im Salon tierversuchsfrei hergestellt wurden. Ich finde es toll, dadurch, dass mit mehreren Marken gearbeitet wird, lernt man auch immer mal was Neues kennen und macht sich nicht so von einem Hersteller abhängig.

Wie regelt ihr den Verkauf von Haarpflegeprodukten?
PP: 
Ich selbst verkaufe keine Friseurprodukte, sondern ein bisschen Keramik und Schmuck von meinen Freundinnen, die die Produkte lokal produzieren. Den Verkauf von Haarpflegeprodukten im Salon überlasse ich zwei Stuhlmietern, die ihr Sortiment allen Kund*innen anbieten. Das klingt bisschen komisch, funktioniert aber ganz gut. 

Wie seid ihr im Krankheitsfall abgesichert?
PP: 
Wer selbständig arbeitet, muss sich darüber Gedanken machen und vorsorgen. Für den krankheitsbedingten Ausfall gibt es Zusatzversicherungen wie Krankentagegeldversicherungen, die einen Umsatzausfall auffangen. An Fehlzeiten durch Krankheiten sollte jeder bei der Preisgestaltung denken. Das gehört bei der Selbständigkeit natürlich mit dazu. Als Selbständige eine Woche mit Erkältung im Bett zu liegen und an den Umsatz zu denken, der einem gerade flöten geht, ist nicht so geil. Auch das ist eine Typfrage, wie ich mit sowas umgehen kann. Für Urlaub gilt übrigens das Gleiche.

“Man muss die Vorteile der Selbstständigkeit voll nutzen, z.B. lange Urlaub machen”

Wie viel Urlaub machst du?
PP: 
Ich habe mir vor Jahren gesagt „Patze, jetzt bist du selbständig. Du musst jetzt niemanden mehr fragen, ob du Urlaub machen kannst. Jetzt kannst du dich doch selbst fragen, ob du 4 Wochen Urlaub machen kannst.“ Dann habe ich das getan und „ja“ gesagt, bin bis an das andere Ende der Welt gereist und habe mir Zeit genommen, für mich. Ich bin mit so einer krassen Power zurückgekommen, dass ich das ganze Jahr voller Motivation arbeiten konnte. Klar plane ich meine Auszeiten mittlerweile so, dass ich vor und nacharbeiten muss und mache hier und da auch mal nur ein paar Tage Urlaub. Um richtig abzuschalten und mich erholen zu können, brauch ich 4-6 Wochen. Es kann mir keiner erzählen, dass er nach 2 Wochen Urlaub erholt ist. Nach 2 Wochen Urlaub fängst du erst an abzuschalten und bräuchtest dann 2 Wochen, um dich zu erholen und die Akkus wieder aufzuladen. Das ist alles nicht so vorgesehen in der Arbeitswelt. Das ist nicht nur in der Friseurbranche so, sondern ich bin da kritisch mit dem gesamten System. Wir müssen doch leben und genug Power haben, um uns ständig zu motivieren. Keiner ist Friseur*in ohne, dass er den   Job gerne macht. Den Job kann man nur machen, wenn man ihn liebt! Das ist ja schon mal toll und das haben ja nicht alle Berufe. Wir sind diejenigen, die gerne machen, was sie machen, die kreativ sein können bei der Arbeit und im ständigen Austausch mit unterschiedlichen Menschen stehen. Ich finde, es sollte uns auch mal erlaubt sein, eine richtige Pause machen zu können. 

“Ich finde das Meistergesetz in heutiger Form steht der Branche total im Weg.”

Als Stuhlmieter*in brauchst du den Meisterbrief, um dich selbständig zu machen. Wie siehst du das?
PP:
 Ich finde, das Meistergesetz, in heutiger Form, steht der Branche total im Weg. Lasst uns das Meistergesetz in Deutschland bitte ändern. Ich rede nicht davon, den Meistertitel abschaffen zu wollen.Wir sollten allerdings ernsthaft darüber nachdenken, für wen es Sinn ergibt, die Meisterprüfung abzulegen und für wen nicht. Jemand möchte einen eigenen Laden mit Angestellten haben und ausbilden. Ok. Mach deinen Meister! Jemand möchte keinen eigenen Laden haben, keine Angestellten und nicht ausbilden, lediglich seine eigene Terminplanung und Abrechnung machen und braucht die gleiche Qualifizierung in Form vom Meistertitel? Warum? Überall auf der Welt, ob in den USA, Italien, Spanien, UK kann ich mir als Freelancer einen Stuhl in einem Salon mieten und auf selbständiger Basis als Friseurin arbeiten. Solange ich keine Angestellten habe, niemanden ausbilde, ist es doch sinnlos, die ganze Kohle auf sich zu nehmen und die Zeit für Meisterschule aufzuwenden. Ich verstehe nicht, warum sich darüber nicht viel mehr Leute aufregen. Man kann direkt nach der Ausbildung ohne Gesellenjahre und Berufserfahrung in die Meisterschule gehen. Aber eine erfahrene Friseurin kann sich nach 10/15 Jahren im Job aufgrund der Lebensumstände nicht einfach dafür entscheiden sich mal anders aufzustellen, z.B. als Stuhlmieter, soll dann dafür den Meister machen? Diese Person hat vielleicht gar nicht geschafft die Rücklagen zu bilden für die Kosten der Meisterschule oder/und hat Familie und es ist organisatorisch und finanziell nicht drin. Schwupp wieder eine Frau raus aus dem Beruf. Dabei könnte sie als Freiberuflerin viel flexibel arbeiten und Beruf und Kinder doch vereinen.  Diese veraltete Regelung ergibt einfach keinen Sinn.

Was spricht für dich gegen die aktuelle Regelung?
PP: 
Sie ist nicht mehr zeitgemäß. Das betriebswirtschaftliche Know-how kann man sich auch auf anderem Weg aneignen. Als selbständige Hair- and Make-up-Artistin fragte mich auch keiner danach, wie ich meine Buchführung geregelt bekomme. Salonunternehmer kannst du sein, ohne Friseur zu sein. Die fachliche Ausbildung übernimmt in vielen Salons auch nicht allein die Friseurmeisterin. In der Innung Berlin habe ich das Gefühl, als sei man in den Achtzigerjahren stehengeblieben. Bei dem Ausbildungsmangel, der herrscht, sollten wir neue Wege zugänglicher machen. Nur so können wir jungen Menschen und Quereinsteigern das Friseurhandwerk attraktiver machen. Wir müssen neue Perspektiven bieten und zeigen, dass Flexibilität und guten Verdienstmöglichkeiten im Friseurhandwerk möglich sind.

Im „la Isla Salon“ macht jeder sein Ding, Ausbilden tut jedoch keiner. Findest du das ok?
PP: 
Es wird immer jene geben, die gerne ausbilden. Vielleicht 30% der Betriebe. Wer nicht ausbilden mag, der trägt anders dazu bei! Wenn sich das Ausbildungssystem mal einer Modernisierung unterziehen lassen würde , würden wir vielleicht sogar auch ausbilden. Aber bei den aktuellen Aussichten in den Beruf, wenn soll ich da reinschicken? 

Wäre es für dich ok einen finanziellen Beitrag in Form zu leisten, um die Ausbildung im Friseurhandwerk zu sichern?
PP: 
Darüber habe ich noch nicht nachgedacht, aber ich bin dafür, das Problem demokratisch zu lösen. Wenn es zu wenig Salons gibt, die ausbilden, müssen wir alle die wenigen unterstützen, damit sie weiter ausbilden können. Wenn es damit getan ist, dass beispielsweise ein Teil der Handwerkskammerbeiträge, für eine attraktivere Ausbildung im Friseurhandwerk eingesetzt wird, bin ich dabei. Ich kann ja nicht auf der einen Seite dafür sein, die Stellschrauben für Stuhlmieter*innen zu lockern, damit der Beruf attraktiver wird und gleichzeitig die Ausbildung nicht sichern zu wollen. Die Branche geiler zu machen, heißt ganz klar, dass sich jeder ausleben kann.

Durch die Möglichkeit in unterschiedlichen Berufen zu arbeiten, lernt man oft auch die Vorteile der einzelnen Berufe mehr zu schätzen. Du arbeitest als Hair- & Make- up-Artist, Fotografin und Friseurin? Was liebst du besonders am Friseurberuf?
PP: 
Ich liebe das Bodenständige und die Planbarkeit im Friseurhandwerk und freue mich, dass oft Kundenkontakte über Jahre halten. Das ist alles nicht so heititei und schnelllebig, wie in der Produktionswelt, wo man heute Hü, morgen Hott auf Leute trifft, die man nie wiedersieht. Der Friseurberuf ist nachhaltiger, besser organisiert und planungssicherer. Ich bin froh, dass ich den Beruf nie aufgegeben habe.

Warum ist für dich das Geschäftsmodell der Stuhlmiete für dich das richtige?
PP: 
Für mich war immer die Abwechslung das Allerschönste und mir meinen großen, großen Wunsch nach Flexibilität erfüllen zu können. Mittlerweile habe ich dadurch immer mehr my People aus der Branche gefunden, mit denen man gleich das Gefühl hat, dass es passt. Es gibt immer mehr Kolleg*innen, die nicht so frisörig aussehen und superschön und modern arbeiten und nicht so klischeehaft unterwegs sind.

Danke für das Gespräch, ich freue mich, dass wir uns kennengelernt haben und bin sehr gespannt, ob unser Gespräch für Veränderung und etwas Diskussionsstoff in der Branche sorgt.

Patricia Piatke 

HAIRSTYLIST & AIRBRUSH MAKE-UP ARTIST 
Make-up Artist Website: www.patze.space
Instagram: @la.isla.salon
LA ISLA SALON

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