Credit: Pietro und Mandy Bosch-Macri

Interview mit Mandy & Pietro: “Fachkompetenz muss wieder richtig ausgelebt werden”

Balayage haben Friseure perfektioniert, dafür hapert’s beim Schnitt. Weiterbildung hilft, sowie immer auf das Gute schauen und weniger auf das Schlechte. Mit diesem Motto haben sich Mandy Bosch-Macri und Pietro Macri mit P.A.M. Hair Design Team & College in Mannheim erfolgreich etabliert.

Im Gespräch mit Birgit Senger

Ihr habt das Jahr mit einer sehr erfolgreichen Hair Art Vernissage bei euch in Mannheim gestartet und dabei das Friseurhandwerk in beeindruckender Weise mit Kunst in Verbindung gebracht. Gehört für euch die Kunst zum Handwerk? Mandy: Vieles, was wir heute sehen, sei es in Kunst, Architektur oder auch Haarschnitten, hat seinen Ursprung in der Schule des Bauhauses. Diese sagte schon vor 100 Jahren: Bevor man Kunst machen will, muss man ein Handwerk erlernen. Für uns gehört Handwerk zur Kunst.

Wird man mit Kunst das Image des Friseurs aufwerten können?
Mandy: Du hast recht, wir haben ein Imageproblem. Gute Friseure müssen mehr zusammen arbeiten und öffentlicher kommunizieren, dass wir Experten in Sachen Design, Schönheit und Style sind.
In Deutschland läuft seit Jahren etwas schief. Unser Beruf wird schnell in eine Schublade gesteckt und uns fehlt eine gute Lobby. Ich frage mich oft, warum wir nicht stärker und gemeinsamer aufgestellt sind und das vor allem nicht nur über Handwerkskammer- und Innung.Im früheren Ostdeutschland habe ich das Image des Friseurberufes viel positiver erlebt. Wenn ich auf einer Party erzählt habe, dass ich Friseurin bin, war ich sofort von Leuten umringt, weil sie wussten, dass ich einen Beruf ausübe, der ihnen Schönheit und Selbstbewusstsein bringen kann. Wir machen Menschen glücklich.
Wenn man heute sagt, dass man Friseur*in ist, wird man niveaumäßig in die unterste Kategorie gesteckt. Da krankt doch was im System. Seit Jahren wird ein akademischer Werdegang höher angesiedelt, als eine klassische Ausbildung.
Wenn wir hier nicht mit neuen Konzepten und hochwertiger Aus- und Weiterbildung gegensteuern, dann stirbt das Handwerk aus.

Welche Konzepte können das sein?
Pietro:
 Wir brauchen eine neue Struktur in der Ausbildung! Damals während meiner Ausbildung habe ich einen Haarschnitt mit Stufen, das Façon schneiden, einen klassischen Bob und das Föhnen mit Rundbürste gelernt. Mehr nicht.
Wenn ich mich heute umhöre, erzählen mir viele Azubis, dass sich nichts geändert hat, obwohl es ein unvollständiges Programm ist. Würden wir in der Grundschule nur einen Teil des ABCs lernen, könnten wir nie fließend einen Text lesen.
Aber weißt du, was am allerschlimmsten ist?

Nein? Was denn?
Pietro: 
Wenn am Ende einer Berufsausbildung, mit dem Gesellenbrief, alle sagen„Jetzt bist du ausgelernt“.  Bei dem Satz könnte ich schreien!

Wie bildet ihr aus? 
Pietro:
 Jeder, der bei uns anfängt, bekommt die gleiche Grundausbildung in Form eines viertägigen Basisseminars, was wir auch extern anbieten. Hier vermitteln wir alle 9 Basistechniken. Zusätzlich lehren wir Typologie und Proportionenlehre. In Kombination mit den Basistechniken können wir so zu jedem Typ den passenden Style designen. Das wird ausnahmslos so lange trainiert, bis es sich gefestigt hat. Erst mit all diesen Techniken beherrscht Friseur*in das ABC, um alle Schnitte kreieren zu können. Aber ausgelernt hat sie trotzdem nie.

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Viele Friseur*innen denken, wenn alle auf die gleiche Technik trainiert werden, verlieren sie ihre Persönlichkeit. Wie denkt ihr darüber?
Pietro:
 Totaler Nonsens!
Die Technik ist dazu da, dass es funktioniert. Man weiß, warum und ist fähig einzuschätzen, was mit dem Haar und der Form passiert. Es ist kein Zufall, was entsteht, sondern bewusste Gestaltung, sozusagen der rote Faden.
Deine eigene Handschrift personalisiert sich durch die eigene Erfahrung und über die Technik du bei deinen Kund*innen wählst. Das wird von manchen Friseur*innen noch nicht verstanden. Dazu braucht es aber auch gute Trainer*innen und Vertrauen in den Prozess.

Worauf achtet ihr bei der Trainerwahl?
Pietro:
 Bei der Auswahl hilft mir folgender Leitsatz: Lerne immer von den Besten! Denn ich möchte mich immer weiter entwickeln können.  Selbst ich lerne nie aus! Ein fachlicher Austausch ist ein Gewinn an Inspiration. Getreu unserem Motto: „Schau immer über den Tellerrand und niemals auf das, was schlecht ist, sondern immer nur auf das, was gut ist.“

Wie verändern sich Azubis?
Pietro:
 Seit ca. 5 Jahren haben wir deutlich mehr Probleme damit, junge Menschen für eine Ausbildung zu begeistern. Das Ausbildungssystem ist aus Sicht der jungen Menschen nicht mehr zeitgemäß.
Und auch hier spiegelt sich unser Imageproblem wider. Selbst hoch motivierte, junge Talente bekommen von ihrem Umfeld davon abgeraten, sich in der Friseurbranche zu entwickeln. Allein der 3-jährige Besuch der Berufsschule schreckt viele ab.

Ihr habt zwei gemeinsame Kinder, sind Karriere im Friseurberuf und Familie gut kombinierbar?
Mandy
: Als Frau, aber natürlich auch als Mann kann ich als Friseur*in meine Arbeitszeit sehr gut so einteilen, dass ich auch Zeit für Kind und Familie habe. Und, du hast auch die Möglichkeit, genug Geld zu verdienen, um eine Familie ernähren zu können. Unsere Mitarbeiter*innen steigen mit dem Tariflohn ein und können inklusive Provision ein Monatsgehalt von 3.500 € bis 4.500 € erzielen. Wer gut im Job ist, verdient auch gut!

Mit welcher Strategie habt ihr euch euer Wissen angeeignet?
M
andy: Wir kommen beide aus einer klassischen Friseurausbildung und hatten schon früh den Anspruch, irgendwann zu den Besten zu gehören. Wir haben uns unsere Schwächen vorgenommen und in der ganzen Welt Seminare besucht. Hängen geblieben sind wir bei Sassoon in London. Wir finden, das ist das fundierteste System im Schnittbereich für unser Handwerk.

PietroViele Friseur*innen machen den Fehler, für Weiterbildung immer direkt mit Kreativ-Seminaren zu starten. Wir haben bei allen Unternehmen, von denen wir lernen wollten, immer mit dem Basisseminar gestartet, erst dann kamen Trend- und später Kreativ-Seminare hinzu. Das war ein Prozess von ca. drei Jahren.

Ich höre immer wieder, dass die englische Haarschneidetechnik zu viel Zeit in Anspruch nimmt, ist das so?
Pietro:
 Das ist Quatsch. Technik ist ein Garant dafür, dass du es reproduzieren kannst. Man hat sowas wie ein Rezept, das man immer wieder verwendet und weitergeben kann. Die Geschwindigkeit deiner Bewegung lässt sich ändern. Wenn ich nur 15 Minuten Zeit habe, bekomme ich den Haarschnitt auch in dieser Zeit hin, vorausgesetzt, du hast dir vorher alles im Kopf zurechtgelegt. Jeder unserer Haarschnitte ist in einer Zeit umsetzbar, die auch finanziell für ein Unternehmen interessant ist.  

Auf vielen Instagram Profilen entsteht zurzeit der Eindruck, es existiere nur noch Balayage in langem gewelltem Haar. Wie sehr ihr das? 
Pietro:
 In den Seminaren, die wir für Redken geben, hatte sich im letzten Jahr ganz klar herausgestellt, wenn es um Langhaar-Balayage-Locken geht, gibt es keine schlechten Friseur*innen mehr. Sobald es jedoch darum geht, Haare abzuschneiden und zu graduieren, fängt das Problem an.

Welche Probleme gibt es beim Haarschnitt?
Pietro: 
Ein Haarschnitt muss designt und gestaltet werden, vieles mit Kundin vorab festgelegt werden. Viele machen das nicht, sondern legen einfach los. Kund*innen müssen doch erst einmal die Chance bekommen zu erklären, was sie eigentlich möchten. Viele arbeiten unkonzentriert und sind mehr damit beschäftigt zu smalltalken. Das Thema Haare, auf das es wirklich ankommt, kommt dabei oft zu kurz. Ich meine, wichtige Fragen, wie föhnst du dich, wie trägst du dein Haar in welchen Lebenssituationen, wie ist dein Lifestyle etc. Fachkompetenz wird gar nicht mehr richtig ausgelebt.

Wie lebt ihr Fachkompetenz?
Pietro: Natürlich haben wir hier ein Beratungskonzept, was mit geschlossenen und offenen Fragen, dem Ermitteln der Traumfrisur, mit Typologie und Farb- und Proportionenlehre, sowie vielen anderen Inhalten gefüllt ist. Wichtig ist hier das aktive, zuhören.
Wenn ich alle Informationen gesammelt habe, erst dann gehe ich in meine Empfehlung, sage, was ich mir vorstellen kann und gebe immer zwei Alternativen. Ab dann konzentriere ich mich auf darauf, meine Arbeit, kompetent zu machen und ich spreche nicht, wenn ich Haare schneide.
Einen Silence-Termin gibt es bei mir also schon seit 25 Jahren.
Mandy:
 Wer in der Masterclass mitspielt, für den steht der Kunde, das Haar und das Design im Mittelpunkt!
So sind Haarschnitte zwischen 70 und 100 Euro im Salon umsetzbar. Die Kund:innen erleben im Salon Perfektion, Wertigkeit und haben ein schönes Friseurerlebnis.
Zu Hause spüren sie dann den Mehrwert an Haltbarkeit und Qualität.

Habt ihr unterschiedliche Spezialist*innen im Team?
Pietro: Wir sind alle spezialisiert, aber wir sprechen keine Spezialisierung aus. Es gibt nicht den „Star Mandy“ oder den „Star Pietro“, sondern es gibt viele Sternchen bei uns. Der eine ist ein unglaublicher Kommunikator, die andere ist sensationell im Barbering, wieder, jemand anderer ist sehr kreativ in Farbe. Jeder, der neu ins Team kommt, spürt das sofort und reiht sich automatisch irgendwo in diesem Kreislauf ein.

Hat sich euer Führungsstil im letzten Jahrzehnt verändert?
Mandy:
 Für mich bedeutet Führung, die Kunst des Stärkens und positive Eigenschaften bei den Mitarbeiter*innen zu erkennen und diese im Unternehmen einzusetzen. Wichtig ist dabei alles gemeinsam und auf Augenhöhe zu planen und umzusetzen.
Ein hochwertiger Betrieb braucht im Team handwerkliche Perfektionisten, sowie auch eine gute Organisation und Service. Unter gutem Service verstehe ich allerdings nicht den Latte Macchiato mit einem zwanzigsten Gebäck. Unsere Kunden kommen wegen des Friseurerlebnisses, nicht wegen Kaffee und Kuchen. Allerdings haben wir einen Wohlfühlmanager integriert, der darauf schaut, dass sich Kunden und Kollegen bei uns wohlfühlenEin gutes Team braucht nicht nur Umsatzbringer, sondern auch Kommunikations- und Organisationstalente.

Ich bedanke mich für das interessante Gespräch und wünsche euch und eurem Team viel Erfolg auf eurer spannenden Reise.