Zerfleischt sich unser Handwerk selbst? Wie lange können sich Salons ausbilden noch leisten? Und welche Lösungen es noch nicht gibt, Mandy Bosch Macri spricht offen über Ungerechtigkeiten im System
Im Gespräch mit Raphaela Kirschnick
Mandy wie geht es dir?
Mandy Bosch Macri: Wir sind gesund und wir müssen uns um unsere Existenz keine Sorgen machen. Zugegeben, die Corona-Zeit war und ist sehr anstrengend und eine große Herausforderung, aber wir haben ein super Team und eine treue Stammkundschaft. Natürlich sitzt uns die Delta-Variante im Nacken und jeder schaut mit Skepsis auf den Herbst. Aber weißt du, eines haben wir in der Corona-Krise gelernt: Routinen sind gut und notwendig, aber erst Improvisation und Kreativität bringen die Würze in den Alltag und man schätzt wieder die guten Zeiten.
Wie sieht es bei euch mit Friseur-Nachwuchs aus? Schon Azubis für den Herbst?
MBM: Im letzten Jahr konnten wir keinen Lehrling aufnehmen, da sich nur 2 Bewerbungen vorstellten und alle kein oder kaum Deutsch konnten, was neben Menschenliebe und Handwerkstalenten und Liebe zum Design, eine Grundsäule in unserer Ausbildung ist. So ein Bewerber-Jahr hatten wir noch nie, spiegelt aber den Ausbildungsmarkt im Handwerk wider. Seit 25 Jahren bilden wir erfolgreich aus und haben jährlich im Durchschnitt zwei Lehrlinge aufgenommen. Jetzt wird es immer herausfordernder, das klassische duale Ausbildungssystem in Deutschland zu halten. Und vielleicht sollten wir auch mal ernsthaft über ein Ausbildungssystem nachdenken, in dem der, der das Wissen weitergibt, honoriert wird. In Ländern wie Amerika und England finden wir diese Systeme schon seit Jahrzenten. Dort kann man, ähnlich wie hier die Meister- oder Kosmetikschule, in privater Hand/ Schule der Abschluss gemacht werden. Hier wären doch mal die Vor- und Nachteile interessant und als Erfahrungsgeber für unsere Handwerksausbildung inspirierend, denn die momentanen Voraussetzungen einer Lehrlingsausbildung werden immer schwerer und für Ausbildungsbetrieben unmotivierender.
Woran liegt das?
MBM: In den vergangenen 7 Jahren hat sich die Bereitschaft und Wertschätzung für einen Ausbildungs-Beruf geändert. Es gibt viel weniger junge Menschen, die sich für einen nichtakademischen Weg, also für eine Ausbildung, interessieren. Früher hatten wir bis zu 30 Bewerbungen pro Jahr, das gibt es heute nicht mehr. Das Bildungsniveau der Bewerbungen war auch um einiges höher und in den Schulabschlüssen mehrschichtiger, da konnte ich noch aus einem guten Potenzial auswählen.
Wie gehst du heute in den Auswahlprozess?
MBM: Das Motivationsschreiben ist sehr wichtig geworden. Schafft es ein/e BewerberIn mich zu überzeugen, lade ich sie ein. Noten sind längst irrelevant. Motivation und Leistungswille spiegeln sich schon lange nicht mehr in den Zeugnissen wider. Es bewerben sich bei uns hauptsächlich Hauptschüler, Migranten und Jugendliche, die keinen Schulabschluss geschafft haben. Insgesamt schaue ich mehr auf die Persönlichkeit und erfrage ihre Werte und Ziele.
Wer das Höchste anstrebt, wird wenigsten das Hohe erreichen.
Was sind denn deine Hauptkriterien bei der Einstellung?
MBM: Wie schon gesagt: Werte und Ziele sind sehr wichtig für den gemeinsamen Erfolg und Weg, außerdem die Persönlichkeit, die Sprache und die Rhetorik sind wichtig. Die Beratung ist bei uns ein ganz wichtiger Bestandteil, denn bevor ich Haare schneide, muss ich ausführlich mit dem Kunden gesprochen haben, ihn verstehen. Die Sprache ist dafür essentiell. Noten in der Schule können mir nicht eine Entwicklung in einer handwerklichen Ausbildung vorhersagen. Meistens haben wir mit sogar mehr Motivation und Erfolge im Betrieb, denn persönliche Stärken wie: Durchhaltevermögen, Teamfähigkeit, Ehrgeiz, Fleiß, Disziplin und der Anspruch, zu den Besten gehören zu wollen, werden nur mit Spaß am Tuen gestärkt. Und wir bei P.A.M. leben und lehren nach einem Sprichwort: Wer das Höchste anstrebt, wird wenigsten das Hohe erreichen. Das ist unser Ausbildungsmotto.
Worin siehst du die größten Probleme in der aktuellen Nachwuchsdebatte?
MBM: In dem niedrigen gesellschaftlichen Ansehen einer nichtakademischen Ausbildung. Unsere Gesellschaft und Politik haben in der Reformierung von Schulbildung und Förderung von Handwerk große Versäumnisse gemacht, die uns heute auf die Füße fallen, da wir kaum noch Fachkräfte & Auszubildende im Handwerk haben! In den vergangenen Jahren wurde weder von der Politik noch von einer anderen Lobby, das Handwerk und die Ausbildung (zu einer Arbeit mit der Hand und am Menschen) in irgendeiner Art und Weise unterstützt. Im Gegenteil: Der Fokus liegt auf Abitur und Studium. Es ist verständlich, dass Eltern für ihre Kinder das Beste wollen, also eine gute Ausbildung, die später die Existenz sichert. Aber es gibt viele Wege dahin. Und die geburtenschwachen Jahrgänge: unsere neuen Generationen sind zu wenig, denn schon heute brauchen wir ausländische Fachkräfte für unsere Wirtschaft, Gesundheitswesen, Handwerk & einer guten funktionierenden Gesellschaft.
Wie gegenwirken?
MBM: Ich bin als Meisterin & Ausbilderin ein aktiver Teil des Systems und will zukunftsorientierte, hoch qualifizierte Handwerker & Dienstleister ausbilden, um unsere Branche langfristig besser zu machen. Die Viel-Belastung: Selbständigkeit, Verantwortung für Salon & Mitarbeiter, Ausbildung und Familie mit Kindern ist so zeitintensiv und fordernd, dass wir oft nicht noch ehrenamtlich in Innung, Zentralverband oder anderen Institutionen, die unsere Branche vertreten und verbessern können, tätig sind und mitwirken. Das ist natürlich eine große Schwäche in unserem Beruf, der 80% Frauenanteil hat: wir kämpfen oft allein und nur für uns selbst. Hier wünsche ich mir, dass wir die Chance von Beispielsweise Social Media nutzen, um gemeinsam für ein besseres Ansehen unserer Branche zu kämpfen und dass in unserer Gemeinschaft von leidenschaftlichen Friseuren mehr Zusammenhalt für die Branche entsteht. Alle für Einen, Einer für Alle!
Was verdient eine Friseurin bei euch durchschnittlich?
MBM: Also durchschnittlich zwischen 2.000 bis 3.500 € brutto, wir zahlen klassisch Tarif und eine Leistungsprämie / Umsatzprovision und dann kommt natürlich ein tolles Trinkgeld dazu. Aber wir sind nicht nur Optimierer im Lohnsystem. Unsere MitarbeiterInnen können sich durch Weiterbildung und Förderung in alle beruflichen Richtungen entwickeln. So konnten wir als Team schon die Welt bereisen: Barcelona, Paris, London, Las Vegas und Fashion Week Berlin & New York. Wir haben viele Teamevents, da sprechen heute noch MitarbeiterInnen, sogar die, die nicht mehr bei uns sind, davon. Wir schaffen gemeinsame Werte & Ziele und das ist mindestens genauso viel Wert, wie gute Bezahlung. Du hast einen beruflichen Traum: Wir helfen dir ihn zu leben. Das macht unseren Beruf so einzigartig und vielseitig. Und dieses Image muss in die Gesellschaft getragen und manifestiert werden, nicht das Bild der schlechtbezahlten „Frisöse“. Wenn wir gemeinsam diese langfristige Imagewandel schaffen, dann finden wir wieder hochmotivierte und anspruchsvolle Bewerbungen für unseren Beauty Beruf. Vielleicht wollen dann alle Influencer erst mal Friseur lernen (lacht).
Woran liegt es dann, dass das Problem und der Nachwuchsmangel immer präsenter wird?
MBM: Unsere Zunft untergräbt sich doch selbst. So hat sich die Meisterzugänglichkeit verändert. Mittlerweile kann man gleich im Anschluss an die Ausbildung zum Gesellen den Meister machen. Es gibt gar keine Gesellenjahre mehr. Berufserfahrung und handwerkliche Qualität bleiben auf der Strecke.
Es passiert folgendes: Drei Jahre investiere ich Zeit, Wissen und Geld und dann macht der Lehrling, der noch nicht richtig als Geselle gearbeitet hat, seinen Meister und möchte natürlich auch als Friseurmeister bezahlt werden. Das funktioniert natürlich nicht, weil er/sie den Umsatz, der dafür notwendig ist, gar nicht bringen kann. Um die Einkommensvorstellungen dennoch zu realisieren, bleibt für den Jung-Meister nur der Weg in die Soloselbständigkeit. Das ist für mich eine Kannibalisierung.
Was meinst du mit Kannibalisierung?
MBM: Ein Jung-Meister der direkt nach der Ausbildung in die Soloselbstständigkeit geht, ist allein (Mikrosalon 25% ) oder als Mini- Salon mit sehr wenig Personal (50% der Salons in Deutschland) selbstständig. Er macht einen guten Umsatz, nimmt keine Auszubildenden, denn: die Investition, der Stress, die Verantwortung ohne Umsatz, tut er sich nicht an, lieber die Zeit für Instagram-pflege und Selbstvermarktung investieren. Und was macht man dann, wenn man doch einen ausgebildeten Friseur braucht? Man lockt einen Kollegen mit dem Anreiz einer höheren Bezahlung. Das ist auf den ersten Blick attraktiv. Aber mit diesen Ködern kann kein Betrieb, der ausbildet, mithalten, da ja die Investition mindestens schon 3 Jahre läuft. Und hier will ich noch nicht mal von gezahlten Schwarzgeldern sprechen oder den Kleinstunternehmern mit der Steuerfreigrenze, die Vorteile genießen, die ein Ausbildungsbetrieb nicht hat. Das ist aus unserer Sicht eine eigene Kannibalisierung in unserem wunderschönen Beruf. Wir zerstören uns selbst, da wir nicht gemeinsam für die Zukunft arbeiten. Und nicht falsch verstehen, jeder kann das tun, was er möchte, aber ich kritisiere, dass es zu wenige gute Ausbildungsbetriebe und ausbildende Friseurmeister gibt und diese nicht durch die Branche, die ja auch was von den ausgebildeten Fachkräften hat, unterstützt werden.
Wo würdest du gerne stärker unterstützt werden?
MBM: Wir müssen finanziell unterstützt werden, einen Ausgleich erhalten, so dass sich auch eine höhere Ausbildungsvergütung für die Lehrlinge rechnet.
Was hältst du von der von Ver.di geforderten Ausgleichzahlung?
MBM: Das finde ich gut. Es gibt Salons, die nicht ausbilden können oder nicht wollen, aber trotzdem von gut ausgebildeten Friseuren profitieren. Es wäre viel gerechter, wenn auch sie einen Beitrag zur Friseurausbildung zahlen würden.
PS: Vielleicht schaffen wir es wie im Profi- Fußball, dass man Ablösesummen für selbstausgebildete Talente, bezahlt bekommt … (lacht).
Jetzt wird immer wieder gefordert, dass die Lehrlingsentschädigung angehoben wird, die Lehrlinge sind nach wie vor der schlecht bezahlteste Ausbildungsberuf. Wie siehst du diese Forderung?
MBM: Ich verstehe die Forderung, aber ohne Ausgleich ist das ein betriebswirtschaftliches Desaster. Ein Lehrling kostet ca. 1000 € monatlich. Darüber hinaus investieren wir täglich Zeit, die wir nicht am Kunden verbringen können, wodurch wiederum Umsatz verloren geht. Wenn jetzt wieder gefordert wird den Ausbildungstarif zu erhöhen, frage ich mich schon, wie das nach drei Monaten Lockdown finanziert werden soll. Die Ausbildungsbetriebe dürfen nicht bluten, sonst werden noch weniger Friseure ausgebildet.
Die Ausbildung muss attraktiver werden, wir müssen etwas ändern, da bin ich voll dabei, aber das ist eine Gesamthandwerksaufgabe. Eine Steuerung über die Lehrlingsvergütung ist zu kurz gedacht, dieser Effekt verpufft zu schnell.
Wie fühlst du dich vom Gesamthandwerk vertreten?
MBM: Pauschalisierungen sind da schwierig, es gibt ja eine Bring- und eine Hol-Schuld. Wie ich schon erwähnte, habe ich nicht auch noch Zeit mich in der Innung zu engagieren. Ich tue etwas für mein Unternehmen, aber nichts, um strukturell die Branche oder politisch aktiv zu ändern. Insofern vermeide ich Kritik an der Innungsarbeit, denn nur kritisieren ist mir zu einfach, wenn dann muss man selbst aktiv werden. Mein Lebensmotto: Willst Du was ändern, dann fang bei Dir an.
Was würdest Du dir wünschen?
MBM: Ein konkretes Beispiel: über die Hälfte meiner dreißig Azubis aus 20 Jahren haben ihre Lehre mit Auszeichnung absolviert. In den ganzen 20 Jahren, in denen ich ausbilde, war noch nie jemand von der Innung bei mir und hat sich das angeschaut oder mal bedankt oder mir Blumen vorbeigebracht. Das finde ich schade und leider eine fehlende Wertschätzung.
Gibt es Boni, die eure Azubis unterhalten?
MBM: Ja, wir sind ein Premiumsalon und befinden uns im oberen Preissegment. Wenn uns ein Lehrling genügend Modelle gebracht, genügend Übungseinheiten absolviert hat und dann auch noch eine Prüfung bei unserem Ausbilder übersteht, und z.B. einen tollen Bob oder Kinderfrisuren schneiden kann, dann stufen wir ihn als JungfriseurIn ein und in diesem Bereich darf er dann auch Kunden selbstständig machen und erhält Provision dafür. Aber nochmal, das Geld sollte nicht der Anreiz für eine tolle erfolgreiche Ausbildung sein, sondern Teamgeist, persönliche Entwicklung, Spaß an der Arbeit und Erfolg und Qualität, egal ob Ausbilder und Auszubildende/ Chefs und Mitarbeiter: Es ist ein Nehmen und Geben und darauf sollte man fokussieren. Ich will Lösungen anregen, das liegt bei mir im Fokus, daran arbeite ich weiter und darauf möchte ich aufmerksam machen. Wer weiß, vielleicht arbeite ich dann doch irgendwann, wenn ich mehr Zeit habe, aktiv in anderen Gremien mit.
Liebe Mandy, das fände ich wunderbar, auf diesen Moment freue ich mich. Bis dahin, weiterhin viel Erfolg und DANKE für das Gespräch!